Ist-Analyse für Benutzerschnittstellen zur Optimierung und Digitalisierung von Geschäftsprozessen
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https://oer-informatik.de/geschaeftsprozess-ist-analyse
tl/dr; (ca. 5 min Lesezeit): Damit Geschäftsprozesse optimiert und digitalisiert werden können, müssen die bestehenden Prozesse zunächst erfasst und verstanden werden. Am Beispiel einer App zur Organisation eines IT-Kongresses wird eine Ist-Analyse durchgeführt, in dem vorhandene Geschäftsprozesse gelistet und als Business Process Model and Notation (BPMN) modelliert werden (Teil der Artikelserie zur Gestaltung und Entwicklung von Benutzeroberflächen für Geschäftsprozesse). (Zuletzt geändert am 21.10.2024)
Übersicht über die bestehenden, bisher nicht optimierten Geschäftsprozesse verschaffen
Die meisten Projekte starten nicht auf der grünen Wiese, sondern bauen auf bereits existierenden Strukturen und Abläufen auf. Der Bestand muss gesichtet und zu verstanden werden, um daraus die Optimierungsbedarfe zu ermitteln und zu verstehen. Diese Ist-Analyse verläuft parallel mit der Projektmanagementphase der Projekt-Vorbereitung. Im Rahmen der Projektvorbereitung wird in einem ersten Business Case-Entwurf die wesentliche Projektbegründung (der auslösende Bedarf) festgehalten. In diesen frühen Stadium sollte zumindest in Grundzügen formuliert werden, welche bestehenden Geschäftsprozesse von der Digitalisierung und Optimierung betroffen sind.
Folgende Fragen sollten im Rahmen der Ist-Analyse beantwortet werden:
Was ist die derzeitige Ausgangssituation? Was ist der auslösende Bedarf, dem das Projektmandat zugrunde liegt? Welche Unternehmensziele steht im Fokus?
In welchem Umfeld (siehe Umfeldanalyse) befinden wir uns, in welchen Systemgrenzen bewegen wir uns und welche Randbedingungen gelten?
Aus welchen Komponenten setzt sich das bestehende System zusammen und wer interagiert an den Systemgrenzen damit?
Welche Stakeholder haben welche Anforderungen an die bisherigen Geschäftsprozesse (siehe Stakeholdermanagement?
Welche Vorerfahrungen haben wir bereits? Welche Informationen sind bereits bekannt, wo wurden bereits Informationsdefizite festgestellt?
Welche Geschäftsprozesse sind bereits identifiziert (und dokumentiert)? Welche sind bislang unerkannt und müssen noch dokumentiert werden?
Die Beantwortungen dieser Fragen erfolgt häufig auch im Rahmen des Requirement Engineerings. Wichtig ist, dass es an zentraler Stelle dokumentiert wird.
Beispiel: Prozesse zur Planung und Organisation eines Kongresses digitalisieren und optimieren
Als Beispiel ziehen wir einen IT-Kongress heran: wir planen die Umsetzung eines mehrtägigen Kongresses, bei dem verschiedene Sessions (Veranstaltungen wie Vorträge, Workshops, Tutorials, Podiumsdiskussionen) teilweise parallel in unterschiedlichen Räumen angeboten werden sollen. Die Organsiation erfolgte bisher über einfache Formular-Abfragen und Excel-Tabellen. An diese Stelle soll ein Tool treten, dass bei der Planung, der Organisation und Durchführung dieser Veranstaltung hilft.
Neben der Suche nach Mithelfenden, allgemeiner Organsiation der Räume und der Infrastruktur geht es dabei insbesondere darum, Sessions für einen Kongress anzubieten, diese zu genehmigen, in einem Zeitplan zusammenzufassen und schlussendlich als Besucher zu buchen. Dabei sind beispielsweise folgende Geschäftsprozesse betroffen:
Ein Orga-Team zusammenstellen und Aufgaben zu verteilen.
Mithelfende zu finden und auf die unterschiedlichen Aufgabenbereiche, Räume oder Zeiten zu verteilen.
Die Abfrage für Sessionideen erstellen (“Call for Participation”).
Als Teilgebende/r eine Sessionidee einreichen.
Externe Referent*innen finden, kontaktieren und für den Kongress zu gewinnen.
Aus Session-Einreichungen diejenigen auswählen, die angeboten werden sollen (genehmigen).
Vorläufige Nachfrage der Sessionangeboteabfragen ermitteln.
Aus den eingereichten Sessionangeboten anhand der Nachfrage einen Zeitplan erstellen.
Aus den eingereichten Sessionangeboten anhand der Nachfrage einen Raumplan erstellen.
Eine Sessionübersicht veröffentlichen.
Für Workshops und Session mit begrenzter Teilnehmendenzahl: Buchung der begrenzten Plätze abwickeln.
Das sind bei weitem nicht alle Geschäftsprozesse, die erforderlich sind, die Beispiele sollten aber die Breite (Catering bis Sessionplan) und die Tiefe (Genehmigungsprozess) möglicher Prozesse gut abbilden.
Welche weiteren Geschäftsprozesse sind in diesem Kontext denkbar?
Geschäftsprozess-Dokumentationen sichten, vervollständigen und analysieren
In Organisationen, die bereits Qualitätsmanagementmaßnahmen ergriffen haben, sind möglicherweise einige Geschäftsprozesse bereits standardisiert und dokumentiert. Dies kann auf unterschiedlichste Arten erfolgen:
Als beschreibender Volltext oder in Stichpunkten,
tabellarisch oder
als Flussdiagramm, wie beispielsweise
als Ereignisgesteuerte Prozesskette,
als Business Process Model and Notation oder
Häufig werden jedoch noch keine Dokumentationen existieren, oder sie sind eher formlos und rein informell. Für die zentralen Geschäftsprozesse, um die sich die Digitalisierung und Optimierung drehen soll, hilft eine systematische Dokumentation der bestehenden Prozesse aber enorm dabei, Verantwortungsbereiche, Abläufe, Informationsflüsse und wesentliche Ereignisse zu verstehen und zu verdeutlichen. So kann Wissen, das in Organisationen implizit vorhanden ist, für alle Beteiligten explizit und transparent dargestellt werden. Oft werden Zusammenhänge, Abfolgen und beiläufig getroffene Entscheidungen überhaupt erst durch diese Art der Dokumentation verstanden, bewusst wahrgenommen oder hinterfragt.
Beispiel: Geschäftsprozesse im Kontext Anbieten und Genehmigung einer Session
Exemplarisch ist hier ein BPMN abgebildet, dass den Ablauf “Anbieten und Genehmigung einer Session(Verantstaltung)” für einen IT-Kongress und die Aufnahme in den Sessionplan beschreibt:

Wenn man sich die Mühe macht, wesentliche Punkte farbig hervorzuheben, wird schnell die Stärke dieser Diagrammform ersichtlich:
Wir können sofort erkennen, welche Dokumente innerhalb des Prozesses bislang ausgefertigt wurden (hier blau hervorgehoben).
Es gibt sehr viele Abstimmungs- und Kommunikationsprozesse zwischen unterschiedlichen Verantwortungsbereichen (Pools), diese sind hier lila hervorgehoben.
Es gibt einige wichtige Gelenkstellen, an denen Entscheidungen innerhalb des Prozesses getroffen werden (grün hinterlegt).
Fristen sind erkennbar (rot hervorgehoben).
Bereiche, die häufiger wiederholt oder mehrmals parallel ausgeführt werden, sind erkennbar (gelb hervorgehoben).
Beim Dokumentieren/Modellieren fällt zudem schnell auf, ob Geschäftsprozesse sich aus mehreren Subprozessen zusammensetzen, die gesondert betrachtet werden sollten.
Die oben modellierten Geschäftsprozesse stellen einen übergeordneten Ablauf dar, der in vielen kleineren Geschäftsprozessen modelliert werden kann.
Beispielsweise ist die Raum- und Zeitplanung selbst relativ aufwändig. Wie könnte ein BPMN aussehen, das diese speziellen Subprozesse modelliert? Welche Tasks, Verantwortlichkeiten, Events, Nachrichten sind in diesem Bereich im Detail nötig?
Fazit
Ohne die bestehenden Geschäftsprozesse verstanden zu haben, können diese nicht optimiert werden. Ohne die Nachrichten und Dokumente aus Geschäftsprozessen systematisch erfasst zu haben, können diese nicht digitalisiert werden. Die Notation per Business Process Model and Notation bietet eine sehr gute Möglichkeit, den Fokus auf die zentralen Punke zu lenken, die für die Optimierung und Digitalisierung von Geschäftsprozessen nötig sind.
Als nächsten Schritt geht es darum, die bestehenden Prozesse und die neuen Anforderungen zusammenzubringen, und einen neuen digitalisierten Geschäftsprozess zu modellieren.
Hinweis zur Nachnutzung als Open Educational Resource (OER)
Dieser Artikel und seine Texte, Bilder, Grafiken, Code und sonstiger Inhalt sind - sofern nicht anders angegeben - lizenziert unter CC BY 4.0. Nennung gemäß TULLU-Regel bitte wie folgt: “Ist-Analyse für Benutzerschnittstellen zur Optimierung und Digitalisierung von Geschäftsprozessen” von oer-informatik.de (H. Stein), Lizenz: CC BY 4.0. Der Artikel wurde unter https://oer-informatik.de/geschaeftsprozess-ist-analyse veröffentlicht, die Quelltexte sind in weiterverarbeitbarer Form verfügbar im Repository unter https://gitlab.com/oer-informatik/frontend. Stand: 21.10.2024.
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